Bericht Nr. 029 (14.12.2012): Das letzte Jahr in China?

Die Zeit vergeht unheimlich schnell und wir sind jetzt schon 2 Jahre und 2 Monate hier. Damit ist das letzte Jahr in China angebrochen. Aber ist es wirklich das letzte Jahr - ich weiss es nicht! Das haengt davon ab, wann und wo eine Nachfolgeverwendung fuer mich zur Verfugung steht. Die Entscheidung darueber habe also nicht ich, sondern sie faellt in Muenchen. Wir werden ja sehen.

Seit dem 8.11.12 fand in Beijing der Parteitag der kommunistischen Partei statt, auf dem dann auch eine neue Regierung "gewaehlt" wurde. Wir bekamen davon hier praktisch nichts mit, was wir aber sehr wohl merkten ist, dass etwa zwei bis drei Wochen praktisch nichts mehr lief im Internet. Seitens der Behoerden wurde das Internet so stark gebremst od. gefiltert, dass wir praktisch keine oder nur sehr schlechte Verbindung zur Aussenwelt hatten. Isolierhaft!

Nun, was hat sich veraendert in den letzten beiden Jahren in Shenyang? Fast alles! Die Stadt ist durch die vielen Baeume, die gepflanzt wurden, sehr viel gruener geworden. Auch die Auswahl an Kaese ist in den Laeden deutlich groesser geworden, selbst einen deutschen Baecker haben wir seit Ostern - und der macht in den naechsten Wochen in unserer Nachbarschaft auch noch einen Laden auf, in dem er Wurst und Kaese verkauft! Da die gesamte Stadt eine einzige Grossbaustelle ist, hat sie auch ihr Gesicht veraendert. Wenn ich aus dem Fenster unserer Wohnung ueber den Fluss schaue, dann steht dort ein riesiges Meer an Hochhaeusern, soweit das Auge reicht.

Ebenfalls veraendert hat sich, dass wir mit Englisch nun etwas weiter kommen in der Stadt als zuvor. In manchen Restaurants od. Laeden gibt es nun zumindest eine Bedienung, die ein paar Worte Englisch spricht. Selbst in der Obstboutique unseres Vertrauens verkauft uns der Sohn das Obst nun mit englischen Namen und traegt es uns zum "BI-Aem-Dabbelju". Als wir vor zwei Jahren zum Look and See Trip hier waren und am Flughafen nicht wussten, welchen Schalter wir brauchen, hat uns ein Bediensteter der Fluggesellschaft nach vielen Erklaerungen in Chinesisch einen Zettel mit chin. Schrift und einem bedeutungsvollen roten Stempel drauf uebergeben und uns an Schalter 9 verwiesen - der war dann natuerlich der voellig falsche. Kuerzlich war ich wieder dort, um wg. meinem Meilenaccount bei der China Southern was zu regeln und die Kommunikation klappte auf Englisch ganz hervorragend. Damit aber kein falscher Eindruck entsteht, wir sind natuerlich hier nach wie vor die Analphabeten und mit unserem Englisch und damit rel. hilflos - oder eben auf unsere Chinesischkenntnisse angewiesen. 

Das Leben hat sich insgesamt also deutlich vereinfacht hier. Liebe kuenftige Expats, wenn Ihr Euch ueber Shenyang informieren wollt, fragt nicht ehemalige, die vor mehr als drei Jahren hier waren, denn das Land und die Stadt Shenyang veraendern sich rasend schnell!

Was sich leider nach wie vor nicht veraendert hat ist der Verkehr - die ignorieren nach wie vor alle Verkehrsregeln, fahren bei Nachts ohne Licht, kommen einem auf der eigenen Fahrbahn entgegen (auch auf der Autobahn) und fahren einfach wie die Verrueckten.

Was sich ebenfalls nicht veraendert hat ist das allgegenwaertige Spucken und so laeuft man jetzt im Winter eben wieder staendig um vereiste kleine Tretminen herum. Was sich jedoch leider sehr stark veraendert hat, sind die Preise, die staendig steigen. Dazu kommt noch der deutlich schlechtere Wechselkurs. Vor zwei Jahren kosteten uns 10 Yuan noch ca. 1 Euro, mittlerweile aber schon 1,23 Euro. Wir leben hier doch tatsaechlich im Mittelpunkt der Welt (heisst ja auch "Zhong guo" = "Mitte Land" oder einfach Reich der Mite) od. zumindest im Mittelpunkt des Weltinteresses. Nachfolgendes Bild aus einem Supermarkt in Shenyang war auf jeden Fall kuerzlich auf der Startseite von T-Online zu finden. Es ging um die Inflation in China, die dazu fuehrt, dass sich Menschen in Supermaerkten um Sonderangebote reissen. Die monatliche Preissteigerung liegt nach diesem Artikel bei knapp unter 2%.

Im Ordner Kulturschock habe ich ja so einige Unterschiede zwischen Chinesen und Langnasen beschrieben. Auch auf diese Unterschiede kann man sich immernoch verlassen. Kuerzlich hatten wir im Management ein Training bzgl. Krisenmanagement. Bei einer der Uebungen ging es darum, dass eine Gruppe von Kindern vor einem herannahenden Unwetter zu retten war. Waehrend die Langnasen sofort daran gingen zu Alternativen zu deren Rettung auszudenken, waren die chinesischen Kollegen allesamt der Meinung, man muesse die Regierung kontaktieren - die solle sich darum kuemmern. 

Heute musste ich erleben, dass sogar Border Collies (wie unsere Amy, s.u.), die anerkannt intelligentesten Hunde, hier verbloeden.

Jedenfalls beobachtete ich einen Border Collie in unserem Compound, der wie ein Verrueckter ein ums andere Mal um den Teich herum raste ohne jeden erkennbaren Grund. Der verhielt sich fast, wie die - ebenfalls anerkannt - duemmsten Hunde, also Irish Setter od. Afghanische Windhunde. Also fast wie Rantanplan, der Hund von Lucky Luke, der sogar bloeder ist als sein Schatten. Aber das ist eigentlich auch kein Wunder, denn Border Collies gehoeren einfach nicht in eine Stadt mit fast 8 Millionen Menschen.

Seit Mitte 2011 bin ich auch verantwortlich fuer die Entwicklung im Joint-Venture. Anfang November war Grundsteinlegung des neuen Entwicklungszentrums im Werk Tiexi. Es geht also voran...

  

Bauarbeiten gab es auch im Ort Xiayangzhang in der Provinz Zheijang. Der gesamte Ort musste einer Schnellstrasse weichen. Nun, das ist nichts Aussergewoehnliches. In diesem Fall akzeptierten alle Bewohner die staatliche Entschaedigung, sodass 500 Familien umzogen. Nur ein altes Paerchen trotzte den Baumassnahmen und die beiden Senioren blieben einfach in ihrem Haus - die Strasse kam aber trotzdem. Und so wurde die Strasse einfach um das Haus herum gebaut und das Haus wurde bis auf den Teil abgerissen, der den beiden gehoert.

Ein aehnliches Bild gibt es aber auch in Shenyang. Im Herbst wurde eine neue Bruecke ueber den Hun He River im Stadteil Tiexi gebaut und mitten auf der daran anschliessenden achtspurigen Strasse steht nun ein Hochspannungsmast. Und waehrend des Baues des Werkes in Tiexi wurde doch glatt der Estrich um einen Kieshaufen herum gegossen, weil den Arbeitern wohl niemand sagte, dass der vorher weg muesse. 

Der Herbst war wie immer sehr schoen und wir hatten Sonne jeden Tag. Selbst Anfang November hatten wir zwar Nachtfrost, aber jeden Tag immer noch deutlich ueber 10 Grd. Waehrend es am Sonntag noch regnete, kam dann ueber Nacht zum 11. November die „weisse Pracht“ und am Montag frueh war alles weiss. Aufgrund der Kohleheizungen bleibt das aber nicht lange weiss, sondern wird innerhalb weniger Tage grau. Winter ist gem. Vorgabe der chin. Zentralregierung ab dem 1. November und dann werden die Heizungen eingeschaltet (wenn es vorher schon kalt ist, dann friert man eben). Nachdem i.A. mit Kohle geheizt wird, riecht man die Kohle auch und man merkt es am vermehrten Staub in der Wohnung. Der dritte Winter in Shenyang - wird das unser letzter? Aber ich sagte es ja schon, die Entscheidung darueber faellt in Muenchen und daher macht es auch keinen Sinn darueber nachzudenken!

BMW foerdert die Kuenste und das durften wir am 24. November auch in Shenyang erleben, wo die "BMW Culture Night 2012" stattfand. Im Liaoning Theater (ein modernes, recht neues Stadttheater, in dem nur leider nie was los ist) haben wir das Ballett "Don Quixote" gesehen, aufgefuehrt von der Liaoning Ballett Truppe, die von BMW gefoerdert wird. Es war wirklich eine sehr schoene Auffuehrung. Die Musik kam leider aus der Konserve, aber was soll's. Traurig ist allerdings, dass die Chinesen praktisch nicht applaudieren, auch wird gerne mal telefoniert und viele gingen bereits deutlich vor dem Ende der Veranstaltung. Kuenstler haben kein einfaches Los in China. 

  

Wir freuen uns schon darauf, an Weihnachten wieder nach Hause zu fliegen! Ob das aber klappen sollte, war aeusserst spannend! Wie jedes Jahr, mussten wir unsere Visa, sowie meine Arbeitserlaubnis und die polizeiliche Registrierung verlaengern. Sowas war bisher kein Problem. Puenktlich Ende Oktober haben aber die Behoerden in Shenyang ihre Arbeitszeiten halbiert und die Bearbeitungszeiten damit verdoppelt. Die Verlaengerung sollte also etwa 6 Wochen dauern und damit praktisch bis zu unserem Abflugtermin nach Muenchen! Gott sei Dank verhalten sich die Chinesen aber auch tatsaechlich so, wie wir das im interkulturellen Training gelernt haben: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Im Falle unserer Reisepaesse haben Pralinen und Schokolade die Bearbeitungszeit der Visa dann auf exakt zwei Wochen verkuerzt. Guangxi - also persoenliche Beziehungen sind einfach das Wichtigste!

Habe ich Euch eigentlich schon die nachfolgende Geschichte erzaehlt? Und wenn schon, macht auch nichts. Einer meiner Kollegen musste fuer einige Tage ins Krankenhaus. Als er in das Krankenzimmer wollte, war es aber nicht sauber genug und er verlagte, es zu reinigen. Die chinesische Reinigungsfee nahm ihren Wischmob, machte ihn in der Toilettenschuessel richtig nass und wischte dann damit das Zimmer. Die denken einfach praktisch! Die Behandlung war aber uebrigens ausgezeichnet!

Dass es zw. den beiden Nachbarlaendern China und Japan Spannungen aufgrund irgendwelcher Inseln gibt, habt Ihr sicher mitbekommen. Hier merkt man das daran, dass es z.B. Lokale gibt mit dem Hinweis, Japaner seien unerwuenscht. Unser Lieblingsjapaner heisst nun nicht mehr Minakami, sondern traegt einen chinesischen Namen. Aussen heisst es, hier gaebe es chinesisches Essen, die Bedienungen tragen keinen japanischen Kimono mehr, sondern einen chinesischen Qipao, und die japanischen Pueppchen im Lokal tragen alle eine chinesische Flagge. Nur das Essen ist immer noch japanisch! Und japanische KFZ-Hersteller werden durch die Chinesen verschmaeht. Toyota hat im Oktober im Vergleich zum letzten Jahr 60% weniger Autos verkauft.

In den letzten Wochen habe ich fleissig an der Bearbeitung der Fotos, sowie der Videos aus unserem Urlaub in Yunnan (siehe Bericht Nr. 028) gearbeitet. Es war wirklich schoen, China so zu erleben, wie man sich China eben vorstellt. Keine Hochhaeuser, dafuer viel Natur und Reisbauern. Dennoch gehe ich davon aus, dass das nun unser letzter Urlaub in China war. Wir haben bisher sehr viel erlebt und auf Tempel habe ich mittlerweile eine Allergie. Was uns sicher noch interessieren wuerde, das waere die Seidenstrasse ganz im Nordwesten Chinas. Allerdings sind wir wohl nicht leidensfaehig genug fuer einfache Hotels od. Unterkunft in Yurten. Und so haben wir beschlossen, zwar vielleicht noch den ein oder anderen Wochenendausflug innerhalb Chinas zu machen, Urlaube im naechsten Jahr aber wo anders zu verbringen. Und der naechste Urlaub ist schon gebucht. Waehrend Chinese New Year fluechten wir wieder vor der Knallerei und es geht nach Neuseeland. Mehr davon aber natuerlich im naechsten Jahr.

Jetzt wuenschen wir allen Freunden und der Familie, sowie allen Menschen auf der Erde ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch, sowie Glueck, Gesundheit und Gottes Segen im neuen Jahr. Bitte bleibt uns auch im neuen Jahr gewogen!