Bericht Nr. 026 (21.07.2012): Wieviel Chinese bin ich eigentlich schon?

Seit dem 13. Juni bin ich nun also wieder in Shenyang - leider alleine, denn Iris blieb noch bis Mitte Juli in Deutschland und genoss die Heimat. Es wird mir natuerlich nicht langweilig, denn im Buero gibt es mehr als genug zu tun. Dennoch macht es mir hier ohne Iris keinen Spass. Und in meiner Verzweiflung habe ich doch glatt am 24. Juni meiner Allergie gegen Tempel Nachschub geleistet und bin nach Anshan zum Jade-Buddha Tempel gefahren. In Anshan waren wir zwar schon mehrfach, allerdings dann in den Bergen, den Qianshan Mountains, ueber die wir ja auch schon berichtet hatten. Der Jade-Buddha Tempel ist im oestlichen Teil von Anshan (ca. 100km von Shenyang) in einem schoenen Park gelegen. Die 32 Grad im Schatten (da war aber keiner) waren ausgesprochen schweisstreibend und ich war natuerlich wieder mal die einzige Langnase weit und breit. Die Buddhafigur wird auch "Jade King from Xiuyan" genannt und sie ist mit 260 t die groesste Jade-Buddha Figur der Welt. In der Mediathek habe ich einige Fotos eingestellt.

Abends hatte ich dann keine Lust, in ein Restaurant zu gehen. Ich erinnerte mich aber daran, dass ich auf dem Heimweg vom Buero in einer kleinen Seitenstrasse immer einen recht belebten Markt sehe, auf dem es dampft und raucht. Da musste ich natuerlich hin, wie Ihr im Ordner Maerkte sehen koennt. Dort habe ich definitiv das beste Grill-Hendl meines Lebens gegessen!

Neubauten:
Ich hatte ja in frueheren Berichten schon mal erwaehnt, dass in China nur mehr Neues zaehlt und das Alte nichts wert ist. Was alt ist, wird abgerissen. Dass aber nun auch schon Gebaeude nach drei Jahren abgerissen werden, das ist neu. Asiens groesste Sporthalle, das Green Island Stadium, wurde 2009 gebaut und fasste 36.000 Zuschauer. Nach nur drei Jahren wurde sie nun aufgrund der hohen Unterhaltskosten im Juni 2012 gesprengt. Wo glaubt Ihr wohl, wo die Halle stand? Richtig - in Shenyang!

Ueberschwemmung:
Der Sommer ist heiss und schwuel. In diesem Sommer regnet es aber auch deutlich oefter als im letzten Jahr und das ist - auch nach Aussage der chin. Kollegen - aeusserst ungewoehnlich. Was sich aber gestern (26.6.12) abgespielt hat, war schon aussergewoehnlich. Ein Gewitterregen am Nachmittag hat alles stillgelegt. Teile der Produktion mussten aufgrund Wassereinbruch gestoppt werden, Gullideckel wurden durch den enormen Wasserdruck aus der Kanalisation davon geschwemmt, sowie Strassen waren ueberflutet. Was Ihr hier seht, ist nicht der Canale Grande, aber LKWs standen immerhin bis zur Achse im Wasser. Und der nach Hause Weg war natuerlich "etwas beschwerlich".

Wieviel Chinese bin ich schon?
Heute (6.7.12) hatte ich ein nettes Gespraech mit einer netten chinesischen Kollegin. Als ich dann irgendwann mal von "uns Auslaendern" sprach, unterbrach sie mich und sagte: "Du bist doch kein Auslaender! Du kennst China besser als ich. Wenn ich was wissen will schaue ich immer auf Deine Homepage!" Der naechste Tag - ein 35 Grd. heisser Samstag - fuehrte mich Mittags nach einem Workshop wieder mal zum Schitzelwirt (Bilder vom Schnitzelwirt gibt es ja schon in der Rubrik "Essen"). Und da begruesste mich doch der chin. Koch (s.u.) tatsaechlich mit "Mahlzeit" und er verabschiedete mich mit "Selvus, bis molgen!" Verkehrte Welt, oder wieviel Chinese bin ich eigentlich schon? Oder auch: Wieviel Chinese will ich eigentlich sein?

  

Wenn ich aber Geschichten, wie die folgende hoere, dann merke ich sehr schnell, ich werde die Menschen hier nie verstehen: Meine Sekretaerin klagte Anfang der Woche ueber eine Halsentzuendung. Am Donnerstag fiel mir dann ein grosser roter Fleck an ihrer Kehle auf und ich fragte sie danach. Sie meinte, ihr Mann haette die Entzuendung herausgezogen ("He's pulled the heat out of my throat."). Sie erklaerte mir, dass er die Haut an ihrer Kehle genommen und sehr stark daran gezogen haette (das scheint irgendwie die groebere Version der Schroepfkoepfe zu sein). In dem roten Fleck seien nun die Giftstoffe enthalten, die die Halsentzuendung verursacht haetten. Ihre Halsentzuendung ist auf jeden Fall jetzt vorrueber. 

Das Leben in China spielt sich auf den Strassen und vor allem auf den Plaetzen und in den Parks ab. Dort treffen sich die Chinesen vor Allem abends zum tanzen, singen, musizieren und spielen. Gerade an diesen heissen Sommerabenden sind die Parks gerammelt voll und man erlebt China wie es wirklich ist. Vor allem Frauen sieht man oft bei Gruppentaenzen, beim Faechertanz oder bei der Gymnastik. Viele Paare ueben Standard- oder lateinamerikanische Taenze mit Tanzlehrern. Tanzschule findet also in den Parks statt. Interessant ist, dass die Standardtaenze i.A. nach sehr langsamer chinesischer Musik getanzt werden, sieht etwa wie Zeitlupe aus. Eine Chinesin sprach mich mit recht gutem Englisch an und fragte mich natuerlich aus, wo ich denn her kaeme. Und selbstverstaendlich haben sie mich dann auch gleich dem Tanzlehrer vorgestellt und ich sollte mittanzen - ich konnte mich aber beherrschen. Dabei habe ich auch erfahren, dass der Tanzlehrer auch im Internet vertreten ist und man die Taenze aus dem Internet lernen koenne. Also liebe Tanzlehrer zu Hause passt auf, da kommt die gelbe Gefahr!

  

     

Hochzeit:
Im Mai hatte ich schon ueber die Hochzeit meiner Sekretaerin Chloe berichtet. Nun hat auch noch Eva geheiratet, Chloes Vorgaengerin und meine erste Sekretaerin in China.

     

Gullideckel:
Eigentlich wollte ich ja Ende Juli / Anfang August nach Deutschland fliegen auf Dienstreise. Da dann aber die Fuehrungsmannschaft in Shenyang doch zu stark ausgeduennt gewesen waere, habe ich das nun wenige Tage vorher abgesagt. Das wiederum verschafft mir Zeit, noch einige Bemerkungen in diesen Bericht einfliessen zu lassen. Lasst mich daher doch mal was ueber fehlende Gullideckel berichten. Gullideckel sind etwas aussergewoehnliches in Shenyang. Nicht dass sie anders aussehen wuerden, als bei uns zu Hause. Nein, auch hier sind sie rund, nur eben mit anderer Beschriftung drauf. Das Wesentliche ist aber, dass sie nie, wirklich nie buendig mit der Fahrbahndecke eingebaut sind. Die Kanalschaechte sind - anders als bei uns - nicht betoniert, sondern aus Ziegelsteinen gemauert. Ziegel halten dem Verkehr aber nicht stand und zerbroeseln im Laufe der Zeit. Das fuehrt dazu, dass sie haeufig einbrechen. Um dem vorzubeugen - Chinesen sind ja einfallsreich -, werden sie auch haeufig gleich beim Bau zu hoch gebaut, sodass sie einige Zentimeter aus dem Fahrbahnbelag heraus stehen. Gerne werden sie auch nach Bauarbeiten einfach falsch herum eingelegt - auch dann stehen sie gerne ca. 10 cm ueber der Fahrbahn. Ebenfalls gerne gesehen sind vollstaendig fehlende Gullideckel. Diese sind besonders trickreich nachts auf unbeleuchteten Fusswegen. Was allen diesen Gullideckeln eigen ist, dass sie nicht gesichert sind, sodass man sie beim Autofahren i.A. erst im letzten Moment entdeckt. Bei mir hat das alleine in den letzten sechs Wochen zu zwei platten Autoreifen gefuehrt (insges. bisher 6!) - eines von hundert Schlagloechern uebersieht man eben. Schaut doch mal rein in "Kurioses", da gibt es ein paar Fotos davon.

Warmwasserversorgung, Atomkraftwerke und Handwerkskunst:
Im Dezember hatte ich ja schon mal darueber berichtet, dass unser Warmwasser von einem Tag auf den anderen abgestellt wurde, da die meisten chin. Hausbewohner einfach nicht bezahlt hatten. Durch diese Zwangsmassnahme unter Druck gesetzt, bezahlten sie dann aber doch und das Wasser kam wieder. Das lief nun monatelang gut, seit einigen Wochen wird aber kontinuierlich die Temperatur des Warmwassers gesenkt. Damit sollen die Bewohner dazu bewegt werden, auf Warmwasserboiler umzustellen, damit die zentrale Warmwasserversorgung endgueltig eingestellt werden kann. In dieser Woche haben wir nun ebenfalls einen dieser Boiler einbauen lassen. Ist ja ein grandioses Geraet! Nur etwa so gross wie ein Telefonbuch, haengt es ganz flach an der Wand und heizt das Wasser als Durchlauferhitzer elektrisch auf. Ich moechte gar nicht wissen, wieviel Strom das Ding braucht, denn dass das bei der Wassermenge als Durchlauferhitzer funktioniert und so stark aufheizt, ist schon erstaunlich. Aber das mit dem Strom und den Stromkosten ist eigentlich egal, denn Strom kostet hier kaum was. Warum auch - als das Atomunglueck in Fukushima passierte, haben die Chinesen gerade 44 neue Atomkraftwerke genehmigt, wovon 18 nun bereits im Bau sind.

Ach ja, fast haette ich es vergessen. Der Boiler funktionierte doch tatsaechlich 2 1/2 Tage perfekt, dann stand das Bad am Samstag frueh unter Wasser. Und als es dieser Tage mal nachts heftig regnete, brach doch glatt ein etwa 20m langes Stueck einer 4-spurigen Hochstrasse zusammen. Was sagt mir das nun ueber chin. Handwerkskunst und ueber die Atomkraftwerke?  

Uebrigens habe ich eine neue Rubrik eingerichtet ueber schlafende Chinesen.