Bericht Nr. 021 (18.12.2011): Der Winter hat uns fest im Griff

Wenn Ihr Euch jetzt wundert, warum es seit dem letzten Eintrag diesmal länger gedauert hat, dann nicht weil wir faul waren. Vielmehr haben wir an den Wochenenden nach unserem Umzug immer noch Kleinigkeiten fuer die Wohnung besorgt, sodass wir keinerlei Ausflüge gemacht haben.

Dazu kommt aber, dass das INTERNET in unserer neuen Wohnung katastrophal langsam ist - oder zumindest war. Ohne technisch zu werden, aber um sich das besser vorzustellen: Der Anschluss hier hat (bzw. hatte) nur etwa 1/8 der Geschwindigkeit wie bei uns zu Hause und auch nur etwa 1/4 der Geschwindigkeit des Sheraton Hotels - zumindest offiziell. Tatsächlich ist aber die Geschwindigkeit aber noch erheblich langsamer. So kann es durchaus sein, dass es 3...5 Stunden dauert, um 15 Minuten Tagesschau zu laden! Und dementsprechend lange dauert es eben auch, wenn ich auf unserer Homepage etwas bearbeiten will. Das nervt unheimlich! Nachdem uns wochenlang versichert wurde, es gäbe hier definitiv keinen schnelleren Anschluss und wir ebenfalls wochenlang nicht nachgegeben haben, ging es nun doch. Wir haben nun einen neuen Provider (Great Wall) und schon läuft das jetzt. Um ehrlich zu sein, ist das immer noch um Faktoren langsamer als wir das aus Deutschland kennen, aber man kann eben nicht alles haben.

Wir wohnen hier ja recht feudal in unseren 240m² und jetzt haben wir sogar noch einen Crosstrainer (od. auch Ellipsentrainer genannt), sodass wir uns fit halten können. Aber wenn ich mich in der Tiefgarage so umblicke, dann glaube ich, dass uns die Chinesen weniger als Expats sehen (so nennen wir uns hier offiziell), sondern ganz einfach als Gastarbeiter. Ich denke, das ist so als wenn in Deutschland in eine gute Wohngegend Ausländer einziehen und sich alle denken, das hätts nicht gebraucht. Die Tiefgarage ist voll mit Nobelkarossen aller Art (Porsche, Ferrari, ...) - und jeder hat natürlich mehrere davon. Da wirkt mein 528Li (die Langversion vom 5er BMW) total ärmlich.

Aktuell stellt sich übrigens die Frage, ob wir evt. aus unserer gerade bezogenen Wohnung wieder ausziehen müssen! Ab dem 20. Dezember wird evt. die Warmwasserversorgung eingestellt. Wenn das tatsächlich so kommen sollte und wir nur mehr Kaltwasser hätten, dann macht das natürlich keinen Spaß und dann müssten wir uns eben wieder was Neues suchen. Wäre schade - aber wir werden ja sehen. 

Am 18.November kam der erste Schnee - und dann gleich den ganzen Tag. Leider hatte ich auf meinem Auto immer noch keine Winterreifen. Es gab sie schlicht und ergreifend nicht. Aber das muss man schließlich verstehen - daß es im Nordosten Chinas Winter wird, damit konnte schließlich niemand rechnen. Oh Mann! Erstaunlich war aber, wie viele Radlader (ich hatte ja letzten Winter schon berichtet, daß es hier keine Schneepflüge gibt) unterwegs waren, um die Straßen zu räumen. So viele waren das im ganzen letzten Winter zusammen nicht.

Gott sei Dank ist es in unserer Wohnung gemütlich warm. Die Heizung hat hier natürlich schon so seine Besonderheit. Alle Heizkörper in den 25 Stockwerken hängen an einem Strang und niemand hat ein Heizkörperventil od. gar einen Thermostaten. Bei den ersten Wohnungen in der Leitung muss es also recht heiß sein, wogegen die letzten vermutlich frieren. Bei uns passt das aber! Na ja, eigentlich ist es zu warm - wenn wir nichts dagegen tun, dann haben wir konstant überall in der Wohnung 24°C. Da das aber eindeutig zu viel ist (vor allem in der Nacht), kämpfen wir mit der Klimaanlage (die haben wir in jedem Raum) gegen die Heizung an. Jetzt sage mir bitte keiner, das sei für die Umwelt nicht gut - ich kann hier auch nicht alleine gegen Windmühlen kämpfen! Das Thema Heizung ist auch für viele Kollegen in anderen Wohnungen und Häusern eine ever endig Story. Ob die Heizung läuft od. nicht, hat nichts mit dem Wetter zu tun, sondern mit der Regierungsvorgabe, also wird hier genau vom 1. November an geheizt, ganz gleich wie kalt es davor schon sein mag. Viele Kollegen mussten sich also elektr. Heizkörper kaufen, um nicht zu frieren. Die Heizung zahlt man auch grundsätzlich im Voraus in vielen Wohnanlagen (wie auch für Strom und Wasser kauft man praktisch ein Kontingent). Letztes Wochenende haben wir einen Kollegen mit seiner Familie im Starbucks getroffen (manchmal braucht man das einfach) und die haben erzählt, innerhalb einer Woche sei Gas für 500€ weg gewesen. Da wird der Winter lang und teuer! Einer meiner chinesischen Mitarbeiter hat mir erzählt, dass er letzten Winter seine Heizkostenrechnung nicht bezahlt hat, da er mit der Leistung nicht zufrieden war (es war ständig zu kalt). In Folge dessen wurde ihm die Heizung komplett für den ganzen Winter abgedreht und er hatte ca. 5°C während des gesamten Winters in der Wohnung. Seine Frau sei ihm aber nicht weggelaufen, versicherte er.

Fazit nach über einem Jahr China.

Was uns gefällt - und woran wir uns gewöhnt haben ...

  • die lieben und herzlichen Menschen (wenn man in ihrem Guanxi (Netzwerk) drin ist)
  • der Zusammenhalt mit den Kollegen, sowie generell den Expats aus aller Herren Länder, z.B. beim zweiten Christkindlmarkt in Shenyang am 11.12.2011
      
      
  • das tolle chinesische Essen (ich möchte nochmal betonen, dass das Essen im Nordosten Chinas nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem in chinesischen Restaurants in Deutschland hat)
  • das immer frische Gemüse und Obst (Erdbeeren schmecken so, wie wir das aus unserer Kindheit in Erinnerung haben)
  • unsere gemütliche Wohnung
  • den Müll nicht trennen zu müssen, sondern einfach nur im Treppenhaus abzustellen (ist einfach praktisch - sorry!)
  • einen Chauffeur zu haben
  • der Job
  • das Reisen innerhalb Chinas (z.B. Wochenendausflüge nach Shanghai od. Beijing)
  • bei Rot od. Grün od. einfach überhaupt diagonal quer über die Kreuzung zu fahren, wenn man abbiegen will (ganz gleich, ob da was im Weg ist)
  • der unglaubliche Optimismus der Chinesen und ihr Willen, das Land weiter zu entwickeln
  • der liebenswerte Hang zum Kitsch (siehe Espresso)...

Was uns nicht gefällt - und woran wir uns nie gewöhnen werden ...

  • extreme Armut und unglaublicher Reichtum nebeneinander
  • die Rücksichtslosigkeit der Chinesen, wenn man nicht in ihrem Guanxi auffgenommen ist (drängeln,...). Eine Chinesin hat mir erklaert, dass Chinesen, die sich nicht kennen, sich nicht als Menschen, sondern als Sachen betrachten - das erklaert alles!
  • die absolute Sorglosigkeit, bzw. das fehlende Gespür für Gefahr
    • auch 8 spurige Straßen werden durch Fußgänger und Radfahrer völlig ohne einen Blick auf den Verkehr überquert
    • ganze Familien finden Platz auf ihren Elektrorollern und schlängeln sich durch dichten Verkehr - gerne auch im Gegenverkehr, nachts und unbeleuchtet.
  • die völlig unnötigen Verkehrsstaus, wenn wieder mal alle gleichzeitig in die gleiche Lücke fahren
  • das ständige Gehupe im Straßenverkehr
  • die lautstarke Spuckerei
  • der Dreck und der Saustall, z.B. öffentliche Toiletten (China ist das Land der Gummisohlen)
  • fehlende od. ca. 20cm eingefallene Gullideckel auf den Straßen (manchmal stehn sie aber auch 20cm über)
  • auf Gehwegen ständig aufpassen zu müssen, nirgends rein od. drüber zu fallen (Müll, Löcher, "Tretminen" diverser Körperöffnungen,...)
  • alles abzureißen, was einige Jahre alt ist (das Alte ist nichts wert, nur das Neue zählt)
  • dass die Internetgeschwindigkeit vom innen- und außenpolitischen Geschehen abhängig ist 

Was wir vermissen....

  • Gemütliche Straßenkaffees wo man im Sommer auch mal einen schönen Eisbecher draußen essen kann
  • Brezen - jetzt Gottseidank nicht mehr (Sylvia vielen Dank für dein geniales Rezept, die Brezen schmecken wie daheim vom Bäcker)
  • Natürlich alle unsere Freunde und die Familie daheim - und unseren Hund Amy

Zusammenfassung: Oiss anders!

Traditionelle Chinesische Medizin (TCM):

Ich (Iris) habe an der Liaoning University for Traditional Chinese Medicine einen 20-tägigen Kurs belegt um ein wenig über Akupunktur, Tuina und Schröpfen zu lernen. Also keine Angst, ich werde mit Sicherheit niemanden mit Nadeln traktieren (höchstens Richard zum Spaß). Die Studenten hier lernen das über Jahre, bis sie sich Arzt für TCM nennen dürfen. Tuina und Schröpfen jedoch sind Dinge, die man auch als Nichtmediziner durchaus ohne Schaden anzurichten ausprobieren kann.

Also angefangen haben wir (drei Ladies aus der Expat-Gemeinde - vielen Dank Sylvia und Sandra, dass wir das miteinander erleben durften) zunächst mit 10 Tagen Akupunktur. Das hieß, wir wurden einfach ins kalte Wasser geschmissen und haben einer Expertin bei der täglichen Arbeit zugesehen. Diese Ärztin ist spezialisiert auf neurologische Probleme, hat also Patienten mit partieller Gesichtslähmung, Schlaganfall aber auch Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit behandelt.

Man muss sagen, der Alltag in so einem Hospital unterscheidet sich schon grundlegend von einer Praxis oder einem Krankenhaus bei uns zu Hause. Niedergelassene Ärzte in dem Sinn gibt es eigentlich nicht, die Menschen gehen in die Hospitäler. Hier werden also auch die meisten Patienten ambulant betreut. Der Patient sucht sich dann seinen Arzt am Eingang der jeweiligen Abteilung aus, dort hängen Bilder und das entsprechende Fachgebiert wird beschrieben. Dann besucht man den entsprechenden Arzt, wobei man von Diskretion hier nicht wirklich etwas hält. Im Behandlungsraum liegen oder sitzen einmal die Patienten, die gerade ihre Nadeln bekommen haben, daneben wird der nächste Patient untersucht und dahinter sitzen die wartenden Patienten. Ja, und wir dann mit unserer Dolmetscherin mittendrin. Also ein richtiges Kuddelmuddel. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass ein anderer Patient sich einfach mal mit seinen Problemen vordrängt. Der wird auch in aller Ruhe beraten, bevor es dann mit dem anderen weitergeht. Natürlich ziehen auch die TCM Ärzte moderne Diagnostik heran, das heißt sie verwenden Röntgenbilder oder schicken ihre Patienten zum CT (kostet so um die 200 Yuan (ca. 22 Euro), also ein "bisschen" billiger als bei uns). Was sie aber auch immer machen ist Zungendiagnostik, sie messen Blutdruck und fühlen den Puls. Ja, und nach dieser Prozedur schicken sie dann ihre Patienten erst mal an die Kasse. Dort müssen sie dann für die Akupunktur löhnen. Manche haben auch eine Krankenversicherung, aber wohl nicht alle, denn wir haben durchaus immer wieder mitbekommen, dass sich der eine oder andere nicht alles leisten konnte, was die Ärztin ihm empfohlen hat. Sie hat auch oft noch Chinesische Heilkräuter empfohlen, die aber schon mal ganz schön teuer sein können, nicht nur für chinesische Verhältnisse. Je nach Arzt kostet so eine Behandlung dann auch unterschiedlich viel, je nach Können, Alter, Berühmtheit.

Also nach 10 Tagen hatten wir einen ganz guten Einblick, konnten auch ohne Übersetzung an der Anordnung der Nadeln erkennen, ob jemand nun Kopfweh oder irgend etwas anderes hatte. Also den einen oder anderen Punkt kann ich jetzt schon mal auch als Akupressurpunkt verwenden. Gerade bei Kopfweh nicht schlecht.

Anschließend waren wir dann ein Stockwerk höher, bei den Meistern der Tuina Massage. Hier lief das Ganze eigentlich ähnlich ab. Alle Patienten in einem Raum verteilt, die Massagebänke mit Paravents und Vorhängen abgeteilt. Unser Lehrmeister hier, Professor Ma Hui ist wohl eine Berühmtheit und Experte vor allem für Probleme des Bewegungsapparates. Und wirklich auch ein ganz besonders Netter. Hier wurden wir in die Geheimnisse der Tuina-Massage eingeweiht. Wir haben das dann natürlich auch ausprobiert, die Beweglichkeit und Kraft in den Händen, die die Ärzte hier haben ist mehr als bewundernswert. Aber der eine oder andere Trick ist schon hängenbeblieben. Hier wird eigentlich immer zunächst massiert (so 20 - 30 Minuten lang), dann akupunktiert oder geschröpft, oder aber auch beides zusammen. Wir durften dann noch einer Vorführung einer Massage mit den Füßen zuschauen, wird vor allem bei etwas fülligeren Personen verwendet. Außerdem bekamen wir eine Massage zum Abnehmen vorgeführt. Soll nach 10maliger Anwendung so gute 5 kg bringen, nicht schlecht. Und eine spezielle Massge mit einem Hornkamm wurde uns auch noch gezeigt. Ich bin ja schon mal in den Genuss einer solchen Massage gekommen, habe danach ja auch ausgeschaut, als ob ich unter einen Laster gekommen wäre. Ich denke aber, an der richtigen Stelle eingesetzt, ist das eine durchaus sinnvolle Angelegenheit, den Körper zum Abtransport von Schlacken zu stimulieren und das Qi wieder richtig fließen zu lassen. Sandra hat es bei Besenreißern ausprobiert, und sie sagt es wird besser - na also.

  

  

Als Fazit kann ich sagen, dass ich einiges über TCM gelernt habe. Vor allem aber Tuina und Schröpfen auch ausprobieren werde. Hornkamm und Schröpfköpfe liegen bereit.

Wir wünschen allen Familienangehörigen, Freunden, Kollegen - oder wer auch immer diese Seite lesen mag - ein friedliches und gesegnetes Weihnachtsfest!